Know-how Oberkörperrotation &
Koordination beim modernen Wildwasserfahren
aka Bewegungsabläufe visualisieren & antizipieren
Am Anfang liegt es nahe, Paddeln als das zu betrachten, was wir mit dem Paddel machen: Wir tauchen es ein und ziehen es durchs Wasser. Dadurch bewegt sich das Boot nach vorne oder in alle möglichen Richtungen. Und irgendwie ist diese Vorstellung vom Paddeln auch richtig. Doch dann entwickelst du dich weiter.
Mit der Zeit sitzt du aktiver im Boot und deine Bewegungen werden effizienter. Irgendwann ändert sich deine Vorstellung von der Bewegung, und es fühlt sich eher so an, als wäre das Paddel im Wasser verankert und du ziehst oder schiebst dich und das Boot daran vorbei. Das, was paddeln ausmacht, hat sich – zumindest in dem Bild, das du dann von der Bewegung hast – umgedreht. Nicht das Paddel bewegt sich durchs Wasser, sondern das Boot. Der Fokus verändert sich.
Aber es ist nur der Anfang. Mit der Zeit findest du vielleicht raus, dass es ziemlich wichtig ist, was das Wasser mit dem Boot macht, oder besser gesagt: Was du mit dem Boot machst.
Im Grunde ist es wichtiger, darauf zu achten, wie das Boot und die Strömung interagieren, da das Boot viel mehr Kontaktfläche mit dem Wasser hat als das Paddelblatt.
Man kann das Boot zum Beispiel in einen bestimmten Winkel zur Strömung stellen oder leicht aufkanten. Der Paddelschlag an sich ist dann eher Mittel zum Zweck und soll dich darin unterstützen, die Richtung zu halten und das Boot durch die Wellen zu stabilisieren. Das Paddel ist irgendwann nur noch ein Hilfsmittel. Im Flow bist du, wenn dein Körperschwerpunkt, das Boot und der Druck vom Paddelblatt in Balance sind und du nur noch mit dem dynamischen Gleichgewicht dieser Variablen arbeitest.
Die Balance aus Körper, Boot und Paddel
Aber was braucht es, damit das gelingt? Es gibt einen zentralen Aspekt, über den meiner Meinung nach zu wenig gesprochen wird: Es hängt alles davon ab „wie du deinen Körper als Gesamtes koordinierst“.
Da dein Körper das Bindeglied zwischen Boot und Paddel ist, kommt deiner eigenen Koordination eine zentrale Rolle zu. Alles hängt davon ab, wie du deine Körperspannung dafür einsetzt, das Gleichgewicht zu halten und mithilfe deines Paddels ein dynamisches Gleichgewicht zu erzeugen. Das macht Paddeln so faszinierend und zu einem Sport, bei dem dein gesamter Körper involviert ist.
Die Basis für eine gute Balance ist, dass du aufrecht und in der Achse deines Körpers auf deinen Sitzhöckern sitzt und mit den Oberschenkelstützen gut mit dem Boot verbunden bist. Nur so kannst du aus der Rotation deiner Wirbelsäule heraus paddeln und die stärkeren Rückenmuskeln nutzen.
Deine zentrale Koordination: die Körperrotation
Sehr wahrscheinlich erscheint es dir beim Fahrrad fahren als ganz natürlich, dass es keinen Sinn macht, den Lenker nach links zu drehen, während du dich nach rechts in die Kurve legst. Auch beim Radfahren ist das, was du mit deiner Körper-Balance machst, allem anderen übergeordnet, also zum Beispiel, ob du gerade bremst oder in die Pedale trittst. So ist es auch beim Paddeln. Jede Bewegung und jeder „move“ findet um deine Körperachse herum statt.
Denken wir Paddeln mal von der Koordination deines gesamten Körpers aus, dann bleiben ein paar wenige zentrale Bewegungen, die du brauchst und die du bewusst steuern willst. Die allermeisten dieser „Moves“, also Techniken beim Paddeln, sind also auf wenigen Bewegungen aufgebaut. Diese Bewegungen beschreiben im Wesentlichen, was du mit der Balance, deinem Rumpf und deiner Körperspannung machst, um überall souverän durchzukommen. Diese sind 1) Oberkörperrotation 2) Rumpfrotation 3) Hüftknick und 4) Gewichtsverlagerung vor/zurück 5) Schultergürtel und Arme.
1) Oberkörperrotation
„Oberkörperrotation“ bedeutet, dass du mit deiner Wirbelsäule in die Torsion gehst, während dein Unterkörper richtungsstabil mit dem Boot verbunden ist. Dein Schultergürtel rotiert also um deine Körperachse, während du deinen unteren Rumpf stabilisierst. Ziel ist es, dein Boot geradeaus zu halten. Wenn du mit dem Paddeltrapez fährst und einen Grundschlag machst, also möglichst gerade vorwärtsfährst, bleibt das Boot und dein Unterkörper gerade und dein Oberkörper geht in die Rotation um die vertikale Achse der Wirbelsäule. Die Ausrichtung deines unteren Rumpfs gibt also die Richtung vor, in die dein Boot fährt. Der Rest rotiert. Man könnte dazu auch sagen, du fährst aus der Mitte heraus. Beispiele: Grundschlag.
2) Rumpfrotation
„Rumpfrotation“ bedeutet, dass dein Oberkörper die Richtung vorgibt und die Hüfte folgt. Wie bei der „Oberkörperrotation“ rotieren Oberkörper (bzw. Schultergürtel) und unterer Rumpf relativ zueinander. Das Ziel ist es diesmal aber, das Boot nicht geradeaus zu halten, sondern zu drehen.
Der Oberkörper rotiert voraus (Paddel ins Wasser, um Druck aufzubauen und zu halten), die Hüfte/das Becken folgt. Wenn du einen Bogenschlag machst, drehst du Oberkörper und deinen Blick voraus in die neue Richtung, in die du nach der Drehung fahren möchtest. Dann setzt du das Paddel ein und führst deinen unteren Rumpf und das Boot nach. Dabei wird die „Verdrehung“ zwischen Oberkörper und Becken wieder „geschlossen“. Die Ausrichtung deines Oberkörpers gibt also die Richtung vor, in die du fahren wirst, nachdem du Oberkörper und unteren Rumpf wieder zusammengeführt hast. Dieser Ablauf wird auch für die sogenannte Blicksteuerung verwendet.
Grundsätzlich ist es die gleiche Bewegung wie bei der Oberkörperrotation. Der Unterschied liegt nur darin begründet, dass einmal der Oberkörper die Richtung vorgibt und einmal der untere Rumpf. Man könnte also auch sagen, dass wir hier aus der Drehung heraus fahren.
Beispiele: Bogenschlag, Ziehschlag, Unterschneiden, diagonale Wellen „anboofen“.
3) Hüftknick
Der Hüftknick sorgt dafür, dass du mit einer aktiven Kante fahren, und das Boot richtungsstabil halten kannst. Die Voraussetzung dafür ist, dass du Ober- und Unterkörper in der Bewegung voneinander trennen kannst. Während dein Oberkörper in der Körperachse bleibt, knickt die Hüfte seitlich ab. Die Bewegung ist also ein seitliches Abkippen des Beckens, oder anders gesagt, du belastest einen Sitzhöcker stärker als den anderen. Dieses seitliche Rollen des Bootes wird unterstützt durch die Spannung des gegenüberliegenden Oberschenkels, d. h. du hebst dein gegenüber liegendes Knie leicht an, was dir viel Halt im Boot gibt. Das kann dadurch zustande kommen, dass du dein gesamtes Gewicht auf eine Seite verlagerst, also auch deinen Oberkörper nach außen schwenkst. Wird Ober- und Unterkörper aber getrennt voneinander bewegt, bleibst du aufrecht und kippst nur die Hüfte ab. So sollte es größtenteils sein.
Der Hüftknick belastet dein Boot auf einer Seite also stärker als auf der anderen und entlastet die gegenüberliegende Kante („Kante hoch“ zum Beispiel bei der Kehrwasser-Ausfahrt). Beim Hüftknick rotiert die Wirbelsäule also nicht, sondern „verbiegt“ sich im Lendenbereich seitlich. Von allen Bewegungen ist der Hüftknick vielleicht die wichtigste.
4) Gewichtsverlagerung
Gewichtsverlagerung nach vorne oder hinten. Oft ist es sicherer, mit einer leichten Vorlage und einem Paddelblatt im Wasser oder aktiv paddelnd zu fahren. Die Vorlage kann auch die Drehung deines Bootes unterstützen, wenn du in ein Kehrwasser ein- oder ausfährst. Durch leichte Rücklage kann die Drehung deines Bootes dagegen verlangsamt werden. Auch auf einer Welle kannst du durch das Dosieren der Vor- oder Rücklage und die entsprechende Spannung deiner Knie zu dir hin, dein Boot ausbalancieren.
Durch die Gewichtsverlagerung vor oder zurück kannst du auch dem Boot mehr (Richtungs-) Stabilität geben. Fährst du langsamer als die Strömung, stabilisierst du das Boot durch etwas mehr Vorlage, fährst du schneller als die Strömung, kann dir etwas mehr Druck auf das Heck mehr Stabilität geben.
Das Fricksche-V
An alles gleichzeitig zu denken ist natürlich zu anstrengend und erstmal nicht umsetzbar. Daher habe ich (zunächst für mich selbst) ein Bild entwickelt, das es uns einfacher machen kann, sich gut zu koordinieren, sich einfach auszubalancieren und besser im Boot zu sitzen. Ich nenne es „das Fricksche-V“ (bescheiden, wie ich bin…, vielleicht klappt es dieses Mal, reich und berühmt zu werden… egal).
Es besteht aus drei Referenzpunkten, die wir uns gedanklich visualisieren und die zusammen im Grundriss ein „V“ bilden. Und das ist auch schon alles, an das du denken musst und das du dir leicht merken und in deiner Vorstellungskraft in Erinnerung rufen kannst: ein sich visuell vorgestelltes V.
Anders als ein Stuhl, der schnell wackelt, wenn eines der vier Beine länger als die anderen ist, steht ein Hocker mit drei Beinen immer stabil, selbst wenn der Untergrund uneben ist. Daher hat das Frick’sche-V drei Bezugspunkte. Welche sind es und wodurch wird das Frick’sche-V gebildet?
Wie weiter oben beschrieben, gehen wir mit unserer Wirbelsäule in die Rotation, um einen Schlag auszuführen. Dabei verlagern wir unser Gewicht auf einen der beiden Sitzhöcker, während mein Schultergürtel mit dem aktiven Arm nach vorne rotiert. Gleichzeitig gehen wir mit dem gegenüber liegenden Knie auf Spannung, indem wir es leicht zu uns ziehen. Beim Grundschlag bewirkt das, dass wir überwiegend die starken Rumpfmuskeln nutzen, während unser Boot – jetzt auf der Kante – leichter beschleunigt und schön geradeaus läuft.
Das V wird also gebildet durch das Gewicht auf dem Sitzhöcker (der strömungs-abwärts gewandt ist), dem Paddelblatt und dem Knie auf Spannung – während Paddelblatt und Knie nach vorne orientiert sind und die Wirbelsäule, bzw. das Gewicht auf dem Sitzhöcker hinten sind.
Beim nächsten Schlag kehrt sich das ganze um, sofern es die Strömung zulässt. Sonst werden die Kante und das Knie gehalten und das Paddelblatt auf der anderen Seite eingesetzt, wodurch sich das V vorübergehend auflöst, bis das Paddelblatt wieder gegenüber vom aktiven Knie eingesetzt wird – und das V wieder aktiv ist.
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